Ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundgesetzwidrig? (Vorschlag wird nun doch nicht gecheckt. - Begründung siehe Vorschlagstext)
Der Bundestagsabgeordnete Norbert Geis (CSU) sagte in seiner Plenumsrede am 14. März 2013: "Ehe und Familie haben in ihrer Privilegierung Verfassungsrang. Wer die Privilegierung abschaffen will, muss die Verfassung ändern. Das geht nicht durch ein einfaches Gesetz und nicht durch Interpretation durch das Verfassungsgericht, sondern nur auf dem dafür in Art. 79 GG vorgeschriebenen Weg. / Derzeit erleben wir landauf landab den Versuch[,] [...] diese Vorrangstellung von Ehe und Familie abzuschaffen. / Begonnen hat dieser Angriff mit dem Partnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2001 und mit dem Urteil des Verfassungsgerichtes vom 17. Juli 2002. Fortgesetzt wurde diese Linie vor allem durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes. Dies zeigt auch die letzte Entscheidung zur sogenannten Sukzessivadoption vom 19. Februar dieses Jahres." (Hervorhebungen durch Kursivierung von WW) Quelle: http://www.norbert-geis.de/wp-content/uploads/2013/03/Rede-14.03.13-gleichgesch.Lebenspartnerschaften1.pdf
Stimmt Geis' Behauptung, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften sei ein Versuch, die grundgesetzliche Privilegierung von Ehe und Familie (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_6.html) abzuschaffen?
Bei der Unterstellung, das Bundesverfassungsgericht versuche, die Privilegierung von Ehe und Familie abzuschaffen, handelt sich unserer Auffassung nach nicht um eine Tatsachbehauptung, sondern um eine Polemik, weshalb wird diesen Vorschlag nicht prüfen können. Die Redaktion
Das hätte man allerdings schon sehr viel früher klarstellen können, anstatt die vielen Pro-Voter nun (also am 15.8.2013) gleichsam 'auflaufen' zu lassen. WW
P.S.: Der Fairness und Transparenz halber sollte die Redaktion generell alle Vorschläge, die sie ohnehin nicht zu prüfen beabsichtigt, auch mit definitiven Anmerkungen versehen, bevor es abermals zu Missverständnissen kommt.
P.P.S.: Dass es sich um bloße "Polemik" gehandelt habe, ist nicht wirklich überzeugend. Denn dann hätte der Jurist Geis sich die Bemerkung, dass es einer Änderung des GG gemäß Artikel 79 bedurft hätte (s. o.), auch sparen können. Man muss also in dem Fall davon ausgehen, dass Geis tatsächlich an das glaubt, was er da zum Besten gegeben hat. Noch einmal der Gedankengang: Geis unterstellt dem Bundesverfassungsgericht, dessen Rechtsprechung (insb. zur Sukzessivadoption) sei ein Angriff auf die grundgesetztlich kodifizierte Vorrangstellung/Privilegierung von Ehe und Familie (vgl. Originalzitat), in diesem Zusammenhang schreibt/spricht er sogar von dem "Versuch[,] [...] diese Vorrangstellung von Ehe und Familie abzuschaffen" (ebd.), der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "[f]ortgesetzt" worden sei (vgl. ebd.). Gleichzeitig ist Geis der Auffassung, dass das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Gesetz (hier: das Lebenspartnerschaftsgesetz) und dessen Interpretation des GGs pro Sukzessivadoption der verfassungsrechtlichen Privilegierung von Ehe und Familie zuwiderlaufen würden, weshalb es erst einer Verfassungsänderung nach Art. 79 GG bedurft hätte, damit die Gesetze und Regelungen auch verfassungskonform wären: "Das geht nicht durch ein einfaches Gesetz und nicht durch Interpretation durch das Verfassungsgericht, sondern nur auf dem dafür in Art. 79 GG vorgeschriebenen Weg." (Ebd.) Somit unterstellt er, dass auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ('Absegnung' des Partnerschaftsgesetzes und Befürwortung der Sukzessivadoption gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften) de facto verfassungswidrig sei.
syntex
Eine "Kurz"einführung zu Staatsrecht II - Grundrechte, 2. Semester im Jurastudium.
Es gilt erst zu bestimmen, was genau eigentlich geschützt wird, was Familie und Ehe im Sinne des Art. 6 I GG also bedeuten, ergo die Definition des sog. Schutzbereiches.
Ehe ist dabei das auf Dauer angelegte und zuvor staatlich beurkundete Zusammenleben von Mann und Frau in einer umfassenden, grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft.
Familie ist die umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern. Dabei ist es unerheblich ist ob es sich nur um ein Elternteil oder beide und bei den Kindern um eheliche oder nichteheliche, minder- oder volljährige, leibliche, Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder handelt.
Geschützt werden also die Ehe i.S.v. Art. 6 I GG von der Ehe-Schließung bis zur Ehe-Scheidung und die Familie i.S.v. Art. 6 I GG von ihrer Gründung bis zur Auflösung.
Damit kennen wir nun den Schutzbereich
Auf der zweiten Stufe ist meistens die Frage, ob es einen Eingriff in den Schutzbereich gibt. Hier ist insbesondere bei der Ehe zu bedenken, dass es sich um eine letztendlich erst durch das positive Recht ausgestaltete instituionelle Tatsache handelt, ehe- oder familienbezogene Regelungen also nicht zwangsläufig einen Eingriff in den SB darstellen. Diese Regelungen müssen sich jedoch am verfassungsrechtlichen Leitbild von Ehe und Familie messen lassen, sind also nicht gänzlich der verfassungsrechtlichen Kontrolle entzogen.
Herrn Geis geht es aber um die Privilegierung von Ehe und Familie.
Art. 6 I GG enthält neben dem Abwehrrecht auch ein Schutzgebot. Aus diesem ergibt sich aber kein direkter Leistungsanspruch gegen den Staat, jedoch ein spezielles Diskrimierungsverbot, dass verheiratete (Ehe) oder familiengebundene (Familie) Personen im Vergleich zu derart ungebundenen Personen nicht benachteiligt werden dürfen. Die deutlichsten Beispiele dafür finden sich im Steuer- und Sozialversicherungsrecht.
Nun der Knackpunkt: Solange eine Regelung die Ehe und Familie in ihrer Ausgestaltung unberührt lässt, kann aus dem Diskriminierungsverbot aber nicht zwangsläufig ein grundsätzliches Verbot geschlussfolgert werden, dass die (teilweise) rechtliche Gleichstellung anderer, auch gleichgeschlechtlicher, Lebensarten verfassungswidrig machen würde. Es ist vollkommen ausreichend, wenn es insgesamt einen rechtlichen Vorteil gegenüber diesen Lebensarten gibt. Er muss sich also z.B. nicht im Familien- oder Steuerrecht niederschlagen.
Davon abgesehen ist Art. 6 I GG nicht rein singulär zu betrachten, so können auch andere Grundrechte betroffen sein, in die natürlich ebenfalls nicht grundrechtswidrig eingegriffen werden darf. So kommt es zur Normenkollision, die allgemein im Rahmen der sog. praktische Konkordanz zu lösen ist, also dem möglichst schonenden Ausgleich aller Kollisionsnormen, um jedem letztendlich eine möglichst große Entfaltung zu ermöglichen.
Man kann nun natürlich noch über die theoretische (Un-)Möglichkeit diskutieren, ob das Verfassungsgericht verfassungswidrig entscheiden kann, entscheidet es doch "über die Auslegung dieses Grundgesetzes" (Art. 93 I 1). Wie auch bei verfassungswidrigem Verfassungsrecht dürfte dies im Ergebnis anzunehmen sein, wirft dann jedoch Fragen bei der Rechtsfolge (Nichtigkeit ex tunc / ex nunc...) auf.
Recht hat Herr Geis natürlich in dem Punkt, dass eine Verfassungsänderung nur im nach Art. 79 GG aufgezeigten Wege geschehen kann. Dies liegt aber faktisch nicht vor, ist also salopp gesagt eine andere Baustelle.